In der Versicherungsbranche ist der Begriff der „Obliegenheiten“ zentral, besonders im Zusammenhang mit den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB). Diese Obliegenheiten umfassen bestimmte Anforderungen, die Versicherungsnehmer erfüllen müssen, um den vollen Versicherungsschutz zu erhalten. Die Erfüllung dieser Pflichten ist entscheidend, da eine Verletzung zu einer Leistungsfreiheit des Versicherers führen kann. Ein Fall des Obersten Gerichtshofs (OGH 26.06.2019, 7 Ob 228/18g) verdeutlicht dies und bezieht sich auf die „Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVBV)“ sowie die „Besonderen Vereinbarungen und Risikobeschreibung für gewerbliche Vermögensberater in Österreich, Ausgabe August 2012 (FinanzPl-Ö)“.
Was war passiert?
Die Entscheidung 7 Ob 228/18g des Obersten Gerichtshofs betrifft einen Fall, in dem ein Vermögensberater eine Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden abgeschlossen hatte und seine Pflichten im Rahmen von Anlageberatungen verletzt haben soll.
Der Berater empfahl seinen Kunden, darunter auch dem Nebenintervenienten (ein geschädigter Anleger), Geschäftsanteile an einer GmbH zu kaufen, die eine Pyrolyseanlage entwickelte. Der Berater hielt das Investment fälschlicherweise für risikolos und informierte die Anleger nicht über das Totalverlustrisiko. Außerdem erstellte er keine unterschriebenen Risikoaufklärungsdokumente und ließ wichtige Hinweise zur Risikoaufklärung aus.
Als die versprochenen Gewinne ausblieben, forderten die Anleger Schadensersatz. Die Versicherung des Beraters lehnte die Deckung ab, da er gegen bestimmte vertragliche Pflichten verstoßen habe – etwa die fehlende Risikodokumentation und das Verbot, ohne Zustimmung der Versicherung Schadensersatzansprüche anzuerkennen.
Wie hat der OGH entschieden?
Die Gerichte sahen die Pflichtverletzungen des Beraters als ausreichend gravierend an, um die Deckung durch die Versicherung zu verweigern. So sei es im Rahmen einer professionellen Sorgfaltspflicht erforderlich gewesen, über typische Risiken wie das Totalverlustrisiko aufzuklären. Zudem entschied das Gericht, dass der Vermögensberater wegen dieser Verletzungen keine Versicherungssumme für die Anleger einfordern kann.
Was sind Obliegenheiten?
Obliegenheiten sind mindere Vertragspflichten, die zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer im Versicherungsvertrag vereinbart werden. Bei beratenden Berufen betreffen diese unter anderem die Information und Beratung von Kunden, aber auch die Schadensmeldung und -dokumentation. Sie unterscheiden sich von „Pflichten“ dadurch, dass bei einer Obliegenheitsverletzung keine rechtlichen Sanktionen gegen den Versicherungsnehmer drohen, sondern der Versicherer unter bestimmten Umständen leistungsfrei werden kann.
Auszug aus den Obliegenheiten in den AVBV und FinanzPl-Ö
- Dokumentation des Risikoprofils: Ein zentraler Bestandteil der Obliegenheiten ist die Dokumentation des Risikoprofils des Kunden. Dies soll sicherstellen, dass der Kunde eine Anlageempfehlung erhält, die auf seinen Kenntnissen, Erfahrungen und finanziellen Zielen basiert. Es ist vereinbart, dass das Risikoprofil vom Kunden gegengezeichnet wird. Dies ist vor allem in der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung wichtig, um spätere Haftungsansprüche zu vermeiden.
- Risikohinweise und Aufklärungspflichten: Der Versicherungsnehmer (Berater/Vermittler) ist verpflichtet, den Kunden auf die spezifischen Risiken der Anlage hinzuweisen, einschließlich des Totalverlustrisikos. Die fehlende Aufklärung über solche Risiken stellt eine Obliegenheitsverletzung dar, wie der gegenständlich geschilderte Fall des OGH zeigt, in dem ein Versicherungsnehmer es versäumte, seine Kunden ordnungsgemäß über das Totalverlustrisiko zu informieren. Das Gericht sah hierin eine grobe Fahrlässigkeit, die zur Leistungsfreiheit des Versicherers führte.
- Anerkenntnisverbot: Versicherungsnehmer dürfen ohne Zustimmung des Versicherers keine Haftpflichtansprüche anerkennen. Dies dient dem Schutz des Versicherers vor unberechtigten oder voreiligen Schadensersatzansprüchen. Wird das Anerkenntnisverbot missachtet, kann der Versicherer ebenfalls leistungsfrei werden.
Folgen einer Obliegenheitsverletzung
Eine Obliegenheitsverletzung kann gravierende Konsequenzen haben. Verstößt der Versicherungsnehmer gegen seine Obliegenheiten, entfällt unter Umständen der Anspruch auf Versicherungsleistungen. Besonders problematisch wird dies, wenn der Versicherer seine Leistungspflicht ablehnt und der Versicherungsnehmer Ansprüche gegen Dritte nicht abwehren kann. Der vorliegende OGH-Fall zeigt, dass auch eine unzureichende Dokumentation des Kundenrisikoprofils sowie die fehlende Aufklärung über das Totalverlustrisiko als Obliegenheitsverletzungen betrachtet wurden, was letztlich zur Leistungsfreiheit des Versicherers führte. In diesem Zusammenhang sind die Bestimmungen des § 6 Versicherungsvertragsgesetz – VersVG zu beachten.
„Darum prüfe genau, wer sich bindet!“
Für Versicherungsnehmer ist die Einhaltung der Obliegenheiten entscheidend. Gerade im Fall der Haftpflichtversicherung zeigt sich, dass die Nichterfüllung dieser Pflichten nicht nur die Abwehrfähigkeit gegen Schadensersatzforderungen schmälert, sondern im Ernstfall den gesamten Versicherungsschutz kosten kann. Dabei ist besondere Vorsicht geboten, wenn über die gesetzlichen Erfordernisse hinausgehende vertragliche Pflichten (Obliegenheiten) vereinbart werden. Die Verletzung solcher vertraglicher Obliegenheiten kann massive finanzielle Folgen haben, da sie häufig strenge Anforderungen an Dokumentation und Aufklärung stellen und eine Nichtbeachtung zur vollständigen Leistungsfreiheit des Versicherers führen kann.
Es gilt auch zu überlegen, ob jede Beratung oder Vermittlung tatsächlich durchgeführt werden muss – und zwar nicht nur im Hinblick auf einen erfolgreichen Vertragsabschluss. Eine Beratung sollte immer auch im besten Interesse des Kunden und in Einklang mit den eigenen beruflichen Pflichten erfolgen. Nur der Abschlusswille kann Risiken bergen, die beim Versicherungsnehmer (Berater/Vermittler) später hohe Kosten (Schadenersatz) verursachen können.
Versicherungsnehmer sollten sich daher genau über ihre gesetzlichen und vertraglich vereinbarten Verpflichtungen informieren und sorgfältig prüfen, ob sie alle Anforderungen erfüllen können, um nicht aus der Deckung zu fallen.
Das Urteil ist im Volltext finden Sie hier: OGH 26.06.2019, 7 Ob 228/18g.
Bild: Envato
Wiener Neustadt, 07.11.2024