In der Praxis kommt es oftmals zu unterschiedlichen Auslegungen der Frage, wer für das Verschulden eines Versicherungsagenten zu haften hat: Der Versicherer oder der Versicherungsagent selbst. Daher finden sich mitunter unklare Regelungen in vorgelegten Agenturverträgen, deren Konsequenzen wohl erst im Schadensfall zutage treten werden. Ziel dieses Beitrags von RA Mag. Stephan Novotny ist es daher, eine branchenweite Diskussion über das Thema anzuregen, an die grundlegende Rechtsmaterie des ABGBs zu erinnern und Problembewusstsein für das Thema zu schaffen. Sowohl aufseiten der Versicherer als auch der Versicherungsvermittler. Ein Tipp vorweg: Nicht alles ungeprüft unterschreiben, was vorgelegt wird.

Aktuelle Frage aus der Praxis: Darf Versicherer die Haftung für den Agenten im Agenturvertrag auf die Höhe der gesetzlichen Mindestversicherungssumme beschränken? Und damit die uneingeschränkte Haftung für den Agenten nach § 1313a ABGB einschränken?

Gelegentlich hört man in Gesprächen, dass der Versicherungsagent über eine eigene Haftpflichtversicherung verfüge und daher selbst zu haften habe. Vielleicht war diese Überlegung der Grund, warum ein großer Versicherer in einem kürzlich vorgelegten Agenturvertrag folgende Passage aufgenommen hat:

…. dass der Versicherer „bis auf Weiteres die uneingeschränkte Haftung gemäß § 137c Abs 2 GewO bis zur Höhe der gesetzlichen Mindestversicherungssummen…“ übernimmt.

Hinweis zu § 137c Abs 2 GewO: Hier nimmt man auf die in der Gewerbeordnung vorgeschriebene Haftpflichtversicherung des Agenten Bezug. Obige Passage im Agenturvertrag hätte zur Folge, dass die Haftung des Versicherers auf 1,250 Mio. pro Schadensfall und auf 1,850 Mio. € für alle Schadensfälle eines Jahres begrenzt wäre.

Diese Einschränkung der Haftung auf die Höhe der gesetzlichen Mindestversicherungssummen widerspricht ganz klar dem Grundsatz nach § 1313a ABGB.

Was steht im § 1313a?

„Wer einem andern zu einer Leistung verpflichtet ist, haftet ihm für das Verschulden seines gesetzlichen Vertreters sowie der Personen, deren er sich zur Erfüllung bedient, wie für sein eigenes.“
Die Folge dieses Paragraphen: Der Versicherer haftet für den Agenten, und zwar uneingeschränkt.


Achtung: Das ist kein theoretischer Streit, um des Kaisers Bart, sondern kann dramatische finanzielle Auswirkungen haben. In Sendungen, wie etwa „Bürgeranwalt“, wird immer wieder um die finanziellen Folgen nach Unfällen zwischen Anwälten, Versicherungen und Sachverständigen gestritten.

Sollte jemand nach einem Unfall schwer behindert und damit aus dem Beruf gerissen worden sein, wird man viele Jahre kostspielige Behandlungen brauchen. Das kann zu Millionen-Forderungen der Geschädigten führen. Weil neben Verdiensteingang vieler Jahre, die zu erwartenden Behandlungskosten, die vielleicht künftig auftretenden gesundheitlichen Folgen und deren Behandlung, den behindertengerechten Umbau der Wohnung, etc. kalkulieren muss.

Wenn nun ein Fehler des Versicherungsvermittlers und ein oben skizzierter Unfall passiert sein sollte, dann darf sich der Versicherer nicht auf die im Agenturvertrag vorgeschriebene maximale Höhe der Haftpflichtversicherung zurückziehen. So eine Haftungs-Einschränkung erlaubt §1313a nicht!

Und was sagt die EU-Versicherungsvermittler-Richtlinie zu all dem?

2018 kam es mit der Umsetzung der RL (EU) 2016/97 (IDD) in Österreich zu umfassenden Änderungen in der Versicherungslandschaft, auch hinsichtlich Haftung des Versicherungsvertreters, der bis dahin, als Versicherungsagent bezeichnet wurde. Auf Ebene der Versicherer erfolgte die Umsetzung durch das Versicherungsvertriebsrechts-Änderungsgesetz 2018 (VersVertrRÄG 2018) und auf Ebene der selbstständigen Versicherungsvermittler durch die Versicherungsvermittlungsnovelle.

Unterteilung der Versicherungsvermittler

Mit der Umsetzung der IDD in nationales Recht werden die Versicherungsvermittler gemäß Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) idgF nach der Tätigkeit in Versicherungsvermittler in Haupttätigkeit (oder auch Hauptberuf bzw. -geschäftszweck) und Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit und nach der Gewerbeberechtigung in Versicherungsagenten und Versicherungsmakler verbunden mit Berater in Versicherungsangelegenheiten unterteilt. Selbstständig tätige Versicherungsvermittler benötigen zur Ausübung des in Österreich reglementierten Gewerbes der Versicherungsvermittlung eine Gewerbeberechtigung von der zuständigen Gewerbebehörde – für die Banken ist hierzu die Finanzmarktaufsicht (FMA) zuständig.

Versicherungsagent wird zum Versicherungsvertreter

Mit Inkrafttreten des Versicherungsvertriebsrechts-Änderungsgesetzes 2018 (VersVertrRÄG 2018) wurde in den §§ 43 ff VersVG (BGBl I 16/2018) der „Versicherungsagent“ durch den „Versicherungsvertreter“ ersetzt und so definiert, dass „Versicherungsvertreter im Sinne der nachstehenden Bestimmungen ist, wer die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung (§ 137 Abs 1 GewO 1994) als selbstständiger Versicherungsagent oder die Tätigkeit des Versicherungsvertriebs (§ 5 Z 59 VAG) als Angestellter des Versicherers durchführt. Als Versicherungsagent im Sinne der nachstehenden Bestimmungen gilt auch, wer mit nach den Umständen anzunehmender Billigung des Versicherers als solcher auftritt“.

Versicherungsagent ist, wer die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung gemäß § 137 Abs 1 GewO 1994 selbstständig ausübt; Versicherungsvertreter im engeren Sinn sind die Angestellten des Versicherers, welche die Tätigkeit des Versicherungsvertriebs gemäß § 5 Z 59 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) ausüben.

Zurechnung des Versicherungsagenten zum Versicherer gemäß § 1313a ABGB iVm §§ 43 ff VersVG

Der Versicherungsagent wird als Erfüllungsgehilfe (§ 1313a ABGB) für dessen Geschäftsherren, den Versicherer, tätig, und vermittelt im Auftrag und auf Rechnung des Versicherers für dessen Versicherungsverträge.

Mit dem VersVertrRÄG 2018 wurde eine Haftungserweiterung des Versicherers für Versicherungsagenten und Pseudomakler auf nur diese treffende Informations- oder Beratungspflichten eingeführt. Den Erläuterungen zur RV anlässlich des VersVertrRÄG 2018 ist zu entnehmen, dass laut ständiger Rechtsprechung der Versicherungsagent der Sphäre des Versicherers zugerechnet wird, jedoch in der Lehre die Ansicht vertreten wird, dass eine Zurechnung des Fehlverhaltens zum Versicherer nur dann stattfindet, wenn der Versicherungsagent gleichzeitig eine den Versicherer treffende Informations- oder Aufklärungspflicht verletzt. Mit dieser Neuregelung wollte man eine mögliche Inkonsistenz beseitigen, und es wurde die Haftung des Versicherers auf Informations- oder Beratungspflichten der Erfüllungsgehilfen ausgedehnt.

Zur Zurechenbarkeit des Versicherungsagenten führte Schauer bereits früher aus, dass dieser aufgrund dessen Funktion als „Hilfsperson des Versicherers“ dem Versicherer zuzurechnen ist. Wie Funk-Leisch, Jabornegg und Wieser zum „Versicherungsagenten“ und Fenyves zum „Versicherungsvertreter“ ausgeführt haben, zeichnen sich beide Vermittler dadurch aus, dass diese im Auftrag des Versicherers tätig werden. Nach außen, und damit für den Versicherungsnehmer, ist dies auch durch die Eintragung der Agenturverhältnisse im Gewerbeinformationssystem Austria (GISA) ersichtlich. Beide Vermittler (der selbstständige Versicherungsagent und der Versicherungsvermittler) sind ihren Geschäftsherren, den Versicherern, verpflichtet und somit weisungsgebunden.

Versicherungsagent – Berufshaftpflichtversicherung

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass seit der Änderung des VersVG, durch das VersVertrRÄG 2018, der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer für den Versicherungsagenten, welcher die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung gemäß § 137 Abs 1 GewO 1994 selbstständig ausübt, sowie dem Pseudomakler, ohne Einschränkung zu haften hat. Gleiches gilt auch für den (angestellten) Versicherungsvermittler. Die in der Praxis noch vorkommende Unterscheidung von Ausschließlichkeitsagent und Mehrfachagent ist seit dem VersVertrRÄG 2018 nicht mehr zutreffend.

Als Argument, dass der Versicherungsagent zu haften hat, wird oftmals vorgebracht, dass dieser gemäß § 95 Z 76 GewO 1994 über eine eigene Haftpflichtversicherung verfüge und daher selbst zu haften habe. Diesem Argument kann schon aufgrund der obigen Ausführungen nicht gefolgt werden bzw. ist die Haftungsabsicherung in der Form einer Haftpflichtversicherung nur eine von drei Möglichkeiten zur Erlangung der Gewerbeberechtigung. Weitere Möglichkeiten sind eine Deckungsgarantie (§ 137c Abs 1 GewO 1994) oder eine uneingeschränkte Haftungserklärung (§ 137c Abs 2 GewO 1994), wobei wenn mehrere Unternehmen, eine Haftungserklärung abgegeben haben, haften diese dort, wo es keine direkte Zurechenbarkeit gibt, solidarisch.

Regress des Versicherers beim Versicherungsagenten

Im Haftungsfall des Versicherers kann dieser versuchen beim Versicherungsagenten Regress zu nehmen, jedoch kommt hier unter Umständen das Haftungsprivileg des Dienstnehmerhaftpflichtgesetzes (DHG) zur Anwendung. Ein Regress wäre bei einer entschuldbaren Fehlleistung somit nicht möglich. Bei fahrlässigem Verhalten des Schadenverursachers komme dann das richterliche Mäßigungsrecht zur Anwendung, wo die Haftung auf bis zu Null reduziert werden könnte. Im Falle einer vorsätzlichen Schadensverursachung durch den Versicherungsagenten wäre ein Regress zu Gänze möglich.

Abschließender Tipp: Der mögliche Regressfall ist ein Grund, warum sich Versicherungsagenten im Rahmen einer eigenen Berufshaftpflichtversicherung versichern sollten, da diese eine Abwehrdeckung für solche Ansprüche bietet. Andernfalls könnte der Versicherer nach der Schadenersatzzahlung an den Geschädigten eine Aufrechnung mit den Provisionen vornehmen, zum Nachteil für den Versicherungsagenten.


Hier lesen Sie den Artikel inklusive Quellenangaben.

Wiener Neustadt, am 25.06.2024

Bild: prostooleh/ unsplash, 25.06.2024

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